TRANS-
ART
Die Idee
trans-Art stellt ein intensiviertes Kunsterlebnis durch die Synergie audiovisueller künstlerischer Zusammenarbeit dar. Im Dialog von neuer Musik und abstrakter Zeichnung sollen die traditionsbedingten, verkrusteten Grenzen der jeweiligen Kunstform nicht nur geöffnet, sondern durch und mithilfe der jeweils anderen Kunstform überwunden werden. Dieses interaktive Moment, das im Zusammenspiel von neuer Musik und abstrakter Zeichnung entstehen kann, nenne ich Composition graphique musicale.
Eine trans-Art Performance verbindet zwei Kunstrichtungen, die bildende Kunst und die neue Musik. Dazu lade ich eine Musiker:in ein, mit mir in einen interdisziplinären Dialog zu treten. Der Dialog entsteht spontan und beruht auf gegenseitiger Inspiration, bidirektionalem Agieren, abstrakter additiver Zeichnung und konkreten und abstrakten Klängen der neuen Musik. Ohne Proben, ohne thematische Vorgaben wird moduliert, agiert und reagiert. So begeben sich Künstler*innen und Publikum zusammen in einen künstlerischen Schöpfungsprozess, der mit jeder trans-Art Performance ein anderer ist. Sie werden Zeug:innen eines Dialogs der Künste und können im simultanen Nachvollzug ihre Wahrnehmung vertiefen. Dieser Prozess erfolgt gemäß Jacques Rancieres Aufteilung des Sinnlichen, in der Hinsicht, dass die trans-Art, indem sie „mit der Öffnung neuer Wahrnehmungsbereiche auch neue Öffentlichkeiten“ (Siegfrid Mattl) schafft.
Als Bildende Künstlerin mit tiefer Wertschätzung für die neue Musik begann Astrid Rieder bereits in den 90er Jahren mit ersten trans-Art Experimenten. Daraus entwickelte sich im Juli 2016 in ihrem Atelier im Künstlerhaus Salzburg die Performance-Serie do trans-Art, die seitdem ohne Ausnahme monatlich stattfindet.
I. Die Performance
Bei einer trans-Art Performance schafft die Künstlerin mit einem Musiker oder einer Musikerin in Echtzeit einen Kunstdialog. Die Musiker:in bringt ein oder mehrere Instrumente mit. Für die bildnerische Aktion wird eine papierene Leinwand an einer Wand befestigt. Auf einem Farbentisch stehen grafische und malerische Materialien bereit. Mittels Kontaktmikrophone werden die durch den Zeichenprozess entstehenden Sounds, zurück in den Raum gespielt und könnten so Brücken zu der Welt der Musik bauen. Schon 1973 hat Marina Abramovic in ihrer Arbeit Rhythm 10 ihre Performance mit einem Audiorekorder aufgenommen, um die Aufnahme anschließend laut abzuspielen und so die Performance zu erweitern.
Vor jeder trans-Art Performance führt Astrid Rieder ein Interview mit den Performancepartner*innen. Themen sind der individuelle Zugang zur trans-Art, die eigene musikalische Entwicklung und Fragen des Zusammenspiels und Dialogs.
Eine trans-Art Performance dauert meist etwa 40 Minuten. Was sich in dieser Zeitspanne entwickelt, bleibt offen. Weder die Musik noch die Zeichnung haben Priorität. Es ist nicht entschieden, wer die Performance eröffnet – wichtig ist, dass sie beginnt. Ab dem ersten Moment der Performance treten die Künstler:innen in einen bidirektionalen Dialog, indem sich die Künste auf Augenhöhe begegnen. Die Performancepartner:innen zeigen Respekt und Vertrauen, sie beobachten und reagieren. Das Publikum kann erleben, wie die Kunstschaffenden aufeinander hören und eine gemeinsame Ebene des Dialogs schaffen, auf der abwechselnd geführte Rede und Gegenrede möglich sind. Aus einer Begegnung mit einem Fremden wird ein Gespräch, in dem Musiker:n und Künstlerin zusammen an einem friedvollen Konsens arbeiten. „Was Kunst leisten kann“, heißt es bei Deleuze und Guattari, ist, mittels der „Präsentation des Unendlichen im Hier und Jetzt“ neue Bande zu erschaffen, wenn auch nur im Hier und Jetzt.
Mit der trans-Art Performance werden tradierte Formen der Darbietung verlassen und eine frei assoziative Darstellung ermöglicht. Abstrakte Linien, Formen und Klänge interagieren, erweitern und ergänzen einander. Der Zeichenprozess ist additiv, das heißt, bereits Gezeichnetes kann, während der trans-Art Performance überzeichnet und damit erweitert werden. Hierin finden sich die Grundgedanken der Performance wieder: „die prinzipielle Unvorhersehbarkeit ihres Verlaufs“, „die Flüchtigkeit der Materialität“, „ein spezifischer Modus der Wahrnehmung sowie der Erzeugung von Bedeutung und eine transformative Kraft“ (Erika Fischer-Lichte).
Nach der Performance bleiben (1) ein akustischer Part, (2) ein grafischer Part und (3) ein Dokumentarvideo bestehen. Der akustische Part wird als Teil der Radiosendung "Atelier für neue Musik/trans-Art" ausgestrahlt. Der Klang der Performance ist also nicht ephemer, sondern auch lange nach der Performance hörbar. Der grafische Part beinhaltet die Zeichnung, die durch additive Prozesse während der Performance entstanden ist. Um die gesamte Performance in ihrer Prozessualität festzuhalten, wird ein Dokumentarvideo erstellt.
II. Workshops
In die trans-Art eintauchen und die Kunstform selbst miterleben. Um Interessierten diesen zwischenmenschlich geführten Dialog zu ermöglichen, entwickelte ich die Idee eines Workshops. Der Workshop folgt einem zeitgesteuerten Konzept:
In der ersten Stunde sprechen wir über die Möglichkeit und Unmöglichkeit eines Dialogs, in der trans-Art und im Alltag. Danach treten wir gemeinsam zum Farbentisch und sprechen über den Gebrauch der Stifte. Wenn alles besprochen wurde, beginnt die Performance.
Eine Stunde lang sind die Teilnehmenden eingeladen, trans-Art, die Interaktion von freitonalen Klängen und abstrakter Zeichnung selbst zu probieren, zu erfahren, mitzugestalten und zu erleben. Innerhalb dieser Stunde können die Teilnehmenden sich als grafische Künstler:innen probieren.
Jede Teilnehmer:in kann für 5 Minuten am Stück an der papierenen Leinwand mit einem Musiker oder Musikerin zusammenarbeiten. Nach 5 Minuten wird gewechselt. Ich lade drei Musiker:innen ein, an diesem Erlebnis teilzuhaben. Die Musiker:innen interagieren jeweils zweimal, also für 10 Minuten, um dann voneinander abgelöst zu werden.
Auf einer Anzeige über der papierenen Leinwand sieht man die genaue Zeitspanne von 5 Minuten. Die Musiker:innen sind so positioniert, dass sie ihren Akteur, ihre Akteurin während der Interaktion gut sehen können.
Der trans-Art Workshop ist für Erwachsene, Gruppen, Firmen gedacht und können auf Anfrage angefordert werden.
Anmeldung: mail@astrid-rieder.com
III. Geschichte der trans-Art
trans-Art entwickelte sich aus dem langjährigen Schaffen von Astrid Rieder.
Die ersten Schritte wurden bereits in den 1990er Jahren gelegt, als sie 1993 an einem Malseminar in St. Virgil mit Wolfgang Seierl (Maler und Komponist in Wien) teilnahm. Dort zeichnete sie zusammen mit anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern unidirektional zu Klängen von Morton Feldman, György Ligeti und John Cage. Es folgten weitere Teilnahmen an Malseminaren am Dachstuhl des Gemacherhauses hinter dem Dom, wo sich heute der Baron Schwarzenberg Saal befindet.
Von 1996 bis 2006 organisierte Astrid Rieder Privatkonzerte (Höhepunkt 2006: 74 Personen im eigenen Wohnzimmer), welche erste interdisziplinäre Erfahrungen hervorbrachten. Unter anderem wurden Uraufführungen neuer Musik, Lesungen und Videoproduktionen präsentiert. Immer wieder nahm sie an der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst auf der Festung Salzburg (Klasse Xenia Hausner, Klasse Hella Berent und Kimberly Bradley) und von 2000 bis 2006 an Malseminaren bei Johannes Ziegler in Salzburg teil.
Mit dem Umzug ins Atelier im Techno-Z in Itzling begann 2007 eine neue Ära. Die Privatkonzerte wurden zu Atelierkonzerten und es wurden immer mehr verschiedene Kunstformen integriert.
Bis 2010 fanden die Atelierkonzerte in Itzling statt, nach dem Umzug ins Künstlerhaus 2011 im Großen Saal des Künstlerhauses. Der niederschwellige Zugang ermöglichte einem breiten Publikum (Höhepunkt 2011: 180 Besucher und Besucherinnen im Großen Saal des Salzburger Künstlerhauses!) den Zugang zu neuer Musik und transdisziplinärer Kunst.
Später entschloss sich Astrid Rieder selbst wieder mehr auf das eigene Kunstschaffen zu konzentrieren und begann mehr trans-Art Performances im In- und Ausland durchzuführen.
Durch ihre Teilnahme an musiktheoretischen Seminaren im Mozarteum bei Christian Ofenbauer erweiterte sie ihr kunstwissenschaftliches Streben.
Der Begriff Composition Graphique Musicale entwickelte sich bei der Abschlussveranstaltung der Schmiede 2016. Auf der Perner Insel entstand bei der Werkschau aus dem Gespräch mit Maurin Donneaud, Medienkünstler aus Frankreich, der Begriff Composition Graphique. Dieser wurde später bei einem Atelierbesuch von Beatrix Zobl im Künstlerhausatelier noch erweitert und heißt nun Composition Graphique Musicale.
Mittlerweile ist trans-Art ein geprägter Begriff und wird durch regelmäßige Veranstaltungen, wie die seit Juli 2016 monatlich am 2. Donnerstag stattfindende do trans-Art, für jeden und jede zugänglich gemacht. In ihrem Atelier in der Bundesstraße 37 in Wals bei Salzburg schafft und präsentiert Astrid Rieder trans-Art.